Montag, 22.10.2018

Grußwort zum 10-jährigen Bestehen
von Schicksal und Herausforderung

von Marco

 

Am 6. September 2016 feiert das Projekt Schicksal und Herausforderung seinen 10. Geburtstag. Was mit einer kleinen und improvisierten Privathomepage begann, entwickelte sich bald zu einer gefragten Anlaufstelle für pädophil empfindende Menschen, für deren Angehörige, für Journalisten und sogar für Fachleute. Für mich war das damals eine schöne und wichtige Erfahrung, dass ich ‒ neben meiner eigenen Verarbeitung ‒ auch anderen Menschen mit meiner Arbeit helfen konnte.

Im Laufe der Jahre habe ich die Webseite zu einem umfassenden Informationsportal über Pädophilie erweitert, das seinerzeit einzigartig im deutschsprachigen Raum war. Schon bald wurden die Medien auf Schicksal und Herausforderung aufmerksam. Dabei habe ich engagierte und erstaunlich unvoreingenommene Journalisten kennen gelernt, die ein ehrliches Interesse an mir hatten. Daraus sind vielfältige Projekte entstanden sind, die seinerzeit Maßstäbe gesetzt haben. Unvergessen sind für mich der NEON-Artikel (von Vera Schröder), das Hörspiel-Feature „Hölle im Kopf“ (von Michael Lissek) oder das Filmprojekt „Kein Kinderspiel“ (von Anna Schlieben und Frank Sippach). Erwähnenswert sind auch der preisgekrönte Artikel „Im Schatten des Begehrens“ von Katharina Blum, der im Münchner Merkur veröffentlicht wurde, sowie die Reportage „Es geht nicht mehr weg“ von Jan Pfaff. Allen genannten Journalisten bin ich bis heute dankbar, denn sie haben viel dazu beitragen, den Bekanntheitsgrad von Schicksal und Herausforderung zu steigern und den seriösen Anspruch zu unterstreichen.

Ein Großteil der Arbeit spielte sich nicht nur auf der Webseite, sondern auch hinter den Kulissen ab. Regelmäßig erreichten mich E-Mails von Menschen, die sich mit ihren Problemen allein gelassen fühlten und sich niemandem anvertrauen konnten. Es waren bewegende und oft verzweifelte Zeilen, die mich erreichten. Nicht nur von pädophilen Menschen, sondern auch von Angehörigen (oft von Ehefrauen), von Eltern (die bei ihrem Kind einen sexuellen Missbrauch befürchteten) und auch von pädophilen Jugendlichen, die mit ihren Eltern nicht darüber reden konnten.

Nicht immer konnte ich diesen Menschen so helfen, wie es gerne gewollt hätte, denn meine Möglichkeiten aus der Ferne waren sehr begrenzt, zumal ich keinerlei fachliche Ausbildung habe, sondern mir mein gesamtes Wissen rein privat in meiner Freizeit angeeignet habe. Fast fünf Jahre habe ich die Webseite alleinverantwortlich betrieben. In dieser Zeit musste ich (glücklicherweise) nur zweimal die Behörden verständigen, weil ich ernst zu nehmende Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch bzw. Kinderpornographie bekam. In beiden Fällen sind die Ermittlungen meines Wissens im Sande verlaufen, aber lieber einmal zu viel aktiv werden als wegzusehen, wo man besser hingesehen hätte.

Seit Mai 2011 wird meine Arbeit von Max, NewMan und Anne weitergeführt, später kam FloZilla als technischer Admin dazu. Alle vier haben ihren eigenen Weg gefunden, die Webseite weiterzuführen. Sie machen manches anders als ich und setzen ihre eigenen Schwerpunkte, doch der Grundgedanke ist immer noch der gleiche: Wie gehe ich verantwortungsvoll mit meiner pädophilen Ausrichtung um (die ich mir nicht ausgesucht habe), ohne jemals ein Kind zu missbrauchen? Ein schmaler Grat, bei dem viele Betroffene bis heute auf umfassende Unterstützung von außen angewiesen sind. Mein Dank geht vor allem an Max, der als heutiger Admin viel Zeit und Arbeit in die Webseite investiert. Auch wenn Max nur wenige neue Texte für die Webseite verfasst hat, so hat er dennoch viel geleistet, vor allem im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit (z.B. im VirPed-Forum) die in Zukunft immer wichtiger wird.

Die therapeutische Versorgung pädophil empfindender Menschen lässt immer noch viel zu wünschen übrig, aber sie ist eindeutig besser geworden als noch vor 10 Jahren. Zu meiner Zeit hatte das Präventionsprojekt Dunkelfeld alias Kein Täter werden (KTW) erst drei Standorte in Berlin, Kiel und Leipzig. Aktuell sind es 12 Standorte, mit denen das Projekt in 11 Bundesländern vertreten ist. Zu meiner Zeit wäre das reines Wunschdenken gewesen, aber es tut sich etwas ‒ wenn auch langsam und immer noch mit vielen bürokratischen und politischen Hürden, die es zu überwinden gilt.

Ich habe KTW von Anfang an unterstützt und die Zusammenarbeit gesucht, wo immer sie sich anbot. Auch wenn ich mit Prof. Beier und seinem Team nicht immer einer Meinung war, so ist es dennoch meine Überzeugung, dass dieses Angebot wichtig ist und einen großen Fortschritt darstellt. Gleichwohl habe ich immer gespürt, dass ich selbst nicht in die Zielgruppe von Kein Täter werden passe, weil bei mir nie die Triebkontrolle das Problem war, sondern der Wunsch nach Vergangenheitsbewältigung, nach mehr Selbstakzeptanz, aber auch nach Weiterentwicklung und Nachreifung für die Zukunft. Das sind Punkte, die ich mit niedergelassenen Therapeuten besser bearbeiten konnte als in der (nach meinem Eindruck) sehr schematisch ablaufenden Gruppentherapie bei KTW.

Ich widerspreche Prof. Beier auch, was seine These von der absoluten Unveränderbarkeit („neuronale Verdrahtung“) einer pädophilen Präferenz angeht, weil solche Veränderungen nach meiner heutigen Erfahrung eben doch möglich sind, zumindest in einem gewissen Rahmen. Trotz dieser Differenzen habe ich dennoch Grund genug, der Berliner Charité und KTW dankbar zu sein. Zum einen, weil es wichtig ist, dass es unterschiedliche therapeutische Angebote gibt, denn Menschen sind vielfältig und haben ebenso vielfältige Bedürfnisse, die man nicht mit nur einem einzigen Therapiekonzept abdecken kann.

Zum anderen waren es Prof. Beier und sein Team, die in der öffentlichen Diskussion vehement darauf hingewiesen haben, wie wichtig die strikte Trennung zwischen sexueller Präferenz und sexuellem Verhalten ist ‒ und zwar in einer Klarheit, wie das vorher keiner getan hat. In dieser Hinsicht hat KTW Pionierarbeit geleistet. Dadurch wurde eine konstruktive und unvoreingenommene Diskussion über Pädophilie in weiten Teilen der Öffentlichkeit erst möglich. Auch Schicksal und Herausforderung hat vom Windschatten und der fachlichen Rückendeckung des Charité-Projekts profitiert.

Der inhaltliche Austausch fand über die jeweiligen Pressesprecher des KTW statt. Zu meiner Zeit war dies Christoph J. Ahlers (als damaliger Projektleiter), der mir geholfen hat, die Webseite in Fachkreisen und auch unter seinen Klienten bekannt zu machen. Dafür an dieser Stelle noch einmal meinen herzlichen Dank. Mein Dank geht auch an Michael Welslau, der mir die Webseite mit seiner damaligen Firma MW-Internet erst ermöglicht hat. Er kannte mich damals noch nicht und hat mir einen unglaublichen Vertrauensvorschuss gegeben. Michael ließ sich mit seinem Namen ins Impressum der Webseite eintragen, übernahm damit die rechtliche Verantwortung und bürgte mit seinem Ruf für die Seriosität des gesamten Projekts. Ohne ihn und sein Vertrauen in mich hätte es Schicksal und Herausforderung niemals gegeben.

Auch wenn ich bei Schicksal und Herausforderung nicht mehr aktiv mitwirke, verfolge ich den Werdegang des Projekts immer noch mit Interesse; schließlich ist die Seite mein „geistiges Kind“ und wird es immer bleiben. Heute hat das Projekt ein Stadium erreicht, in dem es auch ohne meine Mitwirkung fortleben kann. In der Anfangszeit hätte ich mir das nicht zu träumen gewagt. Heute ist es für mich die schönste Bestätigung, die ich mir vorstellen kann: Etwas geschaffen zu haben, dass unabhängig von mir als Person weiterlebt. Ich wünsche mir, dass Schicksal und Herausforderung auch in Zukunft eine treibende Kraft bleibt, wenn es darum geht, die Idee einer verantwortungsbewussten Pädophilen-Selbsthilfe aufrecht zu erhalten und weiter auszubauen.

Marco
im September 2016

aktualisiert: 19.10.2018